Michael Pand

News    Biografie    Fotos    Audio/Video/Shop    Texte    Privat    Home

Übersicht

VIETNAMESISCHER SYNKRETISMUS
oder
Reflexionen zu einer einzigartigen Anpassung
 

Das in Europa seit Schopenhauer verbreitete Sympathisieren mit fernöstlichen Religionen, beispielsweise Hinduismus und Buddhismus, lässt sich am Beispiel der modernen vietnamesischen Mischreligionen CAODAISMUS und HOA HAO fortsetzen. Eine allgemeine Beschäftigung mit asiatischem Synkretismus verspricht dem Mythos Vietnam näher zu kommen.

Von der französischen Kolonialmacht rund 100 Jahre als „Annamiten" bezeichnet, stammen die Vietnamesen aus Südchina und standen bis ins 12.Jh. politisch und kulturell völlig unter chinesischem Einfluss.

Annam ist der chinesische Name für Vietnam und bedeutet „befriedeter Süden", ist daher geo-logisch, denn China liegt im Norden, dahingegen die Bezeichnung „VietNam" aus vietnamesischer Sicht sonderbarerweise soviel wie „die im Norden leben" ausdrückt, nebst der Silbe „Viet" für „ein Volk", was man im Kontext aber auch: „Ein Volk vice-versa Ein Mensch" übersetzen kann.

Nur wenn man sich der Mühe unterzieht, signifikante Namen, Bezeichnungen bzw. Begriffe von tonalen, nicht-indogermanischen Sprachen wie dem Vietnamesischen, Thailändischen etc. versuchsweise zu übersetzen, kann man damit rechnen einige, auch widersprüchliche, Einsichten in komplexe Kulturzusammenhänge zu erhalten:

Thailand: „Land der Freien", „Kambodscha" geht auf den indisch-mythologischen Einsiedler Kambu zurück. Ho Chi Minh : „der nach Erkenntnis Strebende"!

Seit Hermann Hesse und anderen Morgenland-Reisenden wissen wir: der Osten atmet Religion. Und zwar seit mindestens 2500 Jahren, wenn man vom indischen Buddhismus, dem chinesischen Konfuzianismus und Taoismus zurückzählt. Genau diese 3 alten „Religionen" bilden die Hauptsäulen im Caodaismus, verknüpft mit Christentum und Hinduismus.

Entsprechend diesem Fünferschema kann man Caodaismus etwas blumig mit: die „Fünf Zweige des Großen Weges" übersetzen.

Begründet wurde die Religion, die einige Millionen Anhänger zählt, von einem Herrn Ngo Van Chieu (1878-1932), einem vietnamesischen Beamten der französischen Kolonialverwaltung dem Cao Dai („höchstes Wesen") während einer spiritistischen Séance 1925 erschienen ist und ihm auftrug die neue Lehre zu verbreiten. Im selben Jahr offenbarte sich Cao Dai ein weiteres mal einem Geschäftsmann namens Le Van Trung (1875-1934). Ihm wurde empfohlen sich Herrn Chieu anzuschließen und vom lasterhaften Leben abzukehren.

Wem diese Genealogie einer Religion zu schräg oder profan erscheint, möge die „Konkurrenz", die Hoa Hao, die zweitwichtigste moderne Religionsgemeinschaft in Vietnam, betrachten:

In seinem Heimatdorf Ap Hoa Hao, hatte ein junger Mann namens So im Jahre 1939 im Fieber religiöse Visionen, wird aber schlagartig wieder gesund.

Er zieht nach seiner Genesung durch die Dörfer des Mekongdeltas und heilt nun seinerseits mit „von Gott eingegebenen Zaubersprüchen" Kranke durch bloßes Handauflegen. Dadurch wird er zu einem in der Provinz bewunderten Religionsführer und für die französische Kolonialmacht verdächtig. Man sperrt ihn in eine Nervenheilanstalt, wo es ihm jedoch gelingt seinen behandelnden französischen Psychiater als ersten europäischen Anhänger zu gewinnen und freizukommen.

Der ganze sogenannte „Vietnamkonflikt", das 30jährige militärische und politische Desaster von zwei Supermächten, von Historikern schon lange als erster Medien- bzw. Fernsehkrieg weltweit eingeschätzt, verdient es auch anhand seiner inneren psycho-religiösen Strömungen, betrachtet zu werden.

Auch bei Ho Chi Minh, von der 68-iger Generation in Europa liebevoll „Onkel Ho" genannt, der nun im großen Mausoleum von Hanoi aufgebart und kunstvoll einbalsamiert zu bewundern ist und mit religiöser Hingabe verehrt wird, muss auf einen ähnlichen Zusammenhang, seinen Geisteszustand betreffend, hingewiesen werden:

Von der französischen Fremdenpolizei in Paris 1913/14 observiert, musste er sich einem Verhör unterziehen und soll, laut Protokoll das im Museum in Hanoi nachzulesen ist, auf alle vorgelegten Fragen nur mit einem „blöden und stupiden Lächeln" geantwortet haben, sodass die Polizei enerviert alle weiteren Nachforschungen zu seiner Person einstellte.

Während sich in der westlichen Hemisphäre seit ungefähr 1900 die hauptsächlich friedliebende, jedenfalls nicht expansionsorientierte Botschaft des Buddhismus als geistige Alternative zur eigenen christlichen Kulturgeschichte wellenartig verbreitete, leisteten die Vietnamesen einen in der Weltgeschichte einmaligen und verglichen mit allen anderen Völkern der Region, die Kambodschaner ausgenommen, schmerzhafteren kulturellen Anpassungsprozess.

In ihren Tempeln verehren Caodais neben Konfuzius, Buddha und christlichen Symbolen, -Maria, die Mutter Gottes wird beispielsweise als buddhistischer Bhodisattva dargestellt-, auch noch Jeanne d’Arc, Isaac Newton, Victor Hugo, Chateaubriand und Descartes als Heilige!

Zur selben Zeit, zwischen 1945 bis ca. 1954 als sich diese Religion von 100 Mitgliedern auf 2 Millionen Anhänger verbreitete, transportierten Ho Chi Minh’s Soldaten auf Peugeot-Fahrrädern abenteuerlich- selbstgebastelte Waffen und Munition, oft bis zu 500 km weit, die gegen die Franzosen eingesetzt wurden.

Georg Dumézil, franz. Religionswissenschaftler (1898-1986) vertrat die These, dass jede sozio-religiöse Betätigung auf 3 Funktionen rückzuführen ist: geistig, kriegerisch und produktiv.

Die buddhistische Hoa-Hao -Sekte hatte von Anfang an bewaffnete Streitkräfte aus rekrutierten Reisbauern an ihrer Seite. Dementsprechend war es ihr religiös- politischer Anspruch, eine Befreiung der feudalistisch strukturierten Bauernschaft nach chinesischem Vorbild zu erwirken.

Zuerst, 1944, kämpften sie gegen die Franzosen; ein Jahr später gegen ihre Landsleute die nordvietnamesischen Kommunisten, danach aber gemeinsam mit der kommunistischen Viet-Minh wiederum gegen die Franzosen. Als ihr Prophet namens „So" von "Ho" (Ho Chi Minh) gekidnappt und liquidiert wurde, ordneten sich die ehemals strikt anti-aristokratischen Bauernbefreier dem im Spielcasino in Monte Carlo residierenden, letzten vietnamesischen Playboy-Kaiser Bao Dai unter und kämpften weitere 7 Jahre, wiederum gemeinsam mit den Franzosen bis zur Schlacht von Dien Bien Vu , abermals gegen die Kommunisten.

Auch im heutigen Vietnam finden sich solche Disparitäten: die sozialistische Republik räumt laut Verfassung der kommunistischen Partei eine Monopolstellung ein und bekennt sich gleichzeitig, und offenbar ohne damit ein ideologisches Problem zu haben, mit allen staatlichen Garantien für in- und ausländische Kapitalisten und private Investoren zur freien Marktwirtschaft.

Während uns die älteren, etwa 300 Jahre alten Quellen, vorwiegend Reise- und Missionsberichte, die damals „hinter-indisch" genannten Völker als eher kulturmüde, kontemplative Menschen beschreiben, kann sich jeder Pauschalreisende im extrem rasenden Verkehr der heutigen Metropolen Bangkok, Saigon etc. äußerlich, also meist ohne über Sprachkenntnisse zu verfügen und in Urlaubsstimmung, vom glatten Gegenteil überzeugen.

Die ganze Denkweise in jenen südostasiatischen Kulturen wo Buddhismus bzw. die erwähnten Mischformen als religiöser Überbau vorherrschen ist in der Moderne, gemeint ist die Zeit nach dem 2.Weltkrieg, auffällig von industriellen Pragmatismus und kulturellen Paradoxa bestimmt.

Wenn Pragmatismus die Philosophie des handelnden Menschen ist, der die Gültigkeit von Ideen ausschließlich vom praktischen Erfolg her beurteilt,(C.S.Peirce), dann haben Südostasiaten derzeit eindeutig die Nase vorn. Die extrem rasche Anpassungs- und Auffassungsgabe, besonders bei den Vietnamesen, entwickelt paradoxe Situationen in denen analphabetische Reisbauern die eigenen bzw. englischen Schriftzeichen buchstäblich auf der Tastatur im Internetcafé erlernen.

Auf der asiatischen Religionsebene, -und hier sieht man einmal mehr dass Buddhismus, Caodaismus etc. nicht als (monotheistische) Religionen im westlichen Sinne verstanden werden dürfen-, setzt man sich seit jeher und mit Absicht über die Gesetze der Logik hinweg, allerdings und im Gegensatz zur abendländischen Theologie im Namen der Freiheit des Geistes, der nach buddhistischem Verständnis über die Logik hinausweist.

1963 spielte der moderne vietnamesische Buddhismus eine entscheidende Rolle im Kriegsgeschehen. Der ehrwürdige buddhistische Mönch Thich Quang Duc setzte sich, umringt und abgeschirmt von etwa hundert weiteren Mönchen in Lotusstellung auf einen verkehrsreichen Platz in Saigon. Schweigend wurde ihm von einem Begleiter ein Sitzkissen gereicht, gleichzeitig entleerte ein anderer Mönch einen Plastik-Benzinkanister, der mit rosafarbenen Benzin gefüllt war über seinem Haupt.

Ein amerikanischer Korrespondent und Fotograf, Malcolm W. Browne, war kein zufälliger Augenzeuge dieser Tat sondern wurde, durch eine abends vorher zugeflüsterte Ankündigung einiger Buddhisten: „...am nächsten Tag werde etwas Wichtiges passieren..." zu dem Ort der Selbstverbrennung quasi geladen; er berichtete: „Aus einer Entfernung von etwa 7 Metern konnte ich sehen, wie Thich Quang Duc mit einer leichten Bewegung seiner Hände ein Streichholz anzündete. Er blieb, seine Hände im Schoß gefaltet fast 10 Minuten aufrecht, während sein Fleisch an Kopf und Körper brannte..."

Die geistesgegenwärtig gemachten Fotos des Korrespondenten am Schauplatz der dramatischen Selbstverbrennung und die Tatsache, dass sich in den nächsten Wochen noch vier weitere Mönche auf dieselbe Art und Weise öffentlich in Südvietnam verbrannten, rüttelten damals die amerikanische Öffentlichkeit auf. Der „Vietnamkonflikt" mutierte, mit wenigen Fotos im entscheidenden Augenblick lanciert, zu einem Medienkrieg.

Die etwa 5 Jahre später einsetzenden Studentendemonstrationen in Paris, Berlin etc. hatten keinen Bezug zum Buddhismus, sondern wurden nur mehr aus der Perspektive des amerikanischen Imperialismus gedeutet. Zu einer Zeit als die „sozio-ökonomischen Faktoren" das alles erklärende Modewort (m)einer Generation bestimmte, unternahmen die europäischen Intellektuellen nicht die geringste Mühe auch auf die spezifisch religionsgeschichtlichen Hintergründe einzugehen. Eben dadurch passierte im folgenden, genau als der Vietnamkrieg 1975 zu Ende war das gewaltige, tragische Nachbeben, der Genozid im neutralen Nachbarland Kambodscha. Maoistische Khmer Rouges kämpften, anerkannt und legitimiert von der UNO, Amerika und Deutschland zuerst im Namen einer totalen Kulturrevolution gegen das eigene Volk, danach 20 Jahre gegen Vietnamesen, also gegen Marxismus-Leninismus.

Denn abgesehen von der westlichen, banalen und zu kurz greifenden Aufteilung Kapitalismus vs. Kommunismus hatten alle Völker Südostasiens nach 1945, während sie mühevoll unterwegs zur unabhängigen Nationenbildung waren und, andererseits, bis auf den heutigen Tag vom mächtigen (kommunistischen) China politisch determiniert blieben, über 2500 Jahre lang durch Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus, Ahnenkult etc. wesentliche gemeinsame, dem Westen bis heute verborgen gebliebene, kulturreligiöse Werte, Gemeinsamkeiten.

Mao Tse-tung und Ho Chi Minh, der Dämon Pol Pot und der mönchische Katholik Diem, sie alle sahen sich auch als religiöse Führer oder mussten vom eigenen Volk, schon aufgrund eines inszenierten Personenkultes, den man sich in Europa nach dem 2.WK fast nicht mehr vorstellen kann, als solche interpretiert werden.

Sowohl Marxismus-Leninismus als auch Amerikanismus traten wie Heils-, respektive Hiobsbotschaften in der Region auf, die Bombardements der Amerikaner werden noch immer als „missions" bezeichnet, -das Ergebnis von über 30 Jahren Krieg der Ideologien ist längst Geschichte.

Das „befriedete Südostasien", Vietnam und Kambodscha, ist seit 10 Jahren eifrigst am Weg in die industrielle Konsumgesellschaft und verlangt eo ipso nach geistigen Opiaten: alle Religionen von früher, Caodais, Hoa- Hao, auch Katholiken, amerikanische Sekten, sogar Muslime etc. sind jetzt wieder präsent und sammeln Anhängerschaft.

Der Westen scheint, auf militärischem Feld seine Lektion gelernt zu haben, Konflikte in Südostasien haben sich auf die Ebene des Massentourismus verlagert.

Den vergleichsweise nichtreligiösen, jedoch auf Reisen, im Urlaub etc., nach neuen Lebensformen Ausschau haltenden Europäern wird, besonders in Vietnam, genaugenommen aber überall in „Hinterindien" das exotische, feminine und erfolgreiche Kulturexempel einer perfekten, intelligenten Anpassung an unzulängliche Weltverhältnisse geboten.

© 2000 by Michael Pand

 

Übersicht

News    Biografie    Fotos    Audio/Video/Shop    Texte    Privat    Home